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Die 1970er Jahre

Wachsen der Abteilung und Behinderung als sozialer Tatbestand

Zeitstrahl 1970er Jahre

1970er Jahre – Die Abteilung wächst

Die Abteilung für Heilpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ruhr wächst. 1973 lehren 10 Professoren zu unterschiedlichen Bereichen der Heilpädagogik. Im Jahr 1976 wird die Abteilung für Heilpädagogik zum Fachbereich II Sonderpädagogik und Rehabilitation und im Jahr 1979 nochmal umbenannt in Fachbereich II Sondererziehung und Rehabilitation.

Außerdem wächst die Abteilung um zwei Einrichtungen: Die Sonderpädagogische Beratungsstelle und die Arbeitsstelle für Statistik und Versuchsplanung. An der TU Dortmund (damals noch Universität Dortmund) wird 1978 die zentrale Einrichtung für Behinderung und Studium, der Beratungsdienst behinderter Studierender (heute: DoBuS), gegründet. Sinn und Zweck der Einrichtung ist es, Studierenden mit Behinderungen den Zugang zu einer akademischen Ausbildung zu ermöglichen.

Pädagogische Hochschule Dortmund 1968-1979
Personal- und Vorlesungsverzeichnis 1973 S. 53

Lehrende und Seminare

Der Ausbau des Instituts für Heilpädagogik zur Abteilung für Heilpädagogik zeichnet sich im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1966/67 ab. So verfügt die Abteilung zu dem Zeitpunkt über sechs Professuren und etliche Lehrbeauftragte. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter bleiben in der organisatorischen Darstellung des Vorlesungsverzeichnisses unerwähnt, sie sind bei der Darstellung der Untereinheiten der Abteilung zu finden, die als Seminare bezeichnet werden. Die fachliche Zuordnung der hauptamtlich Lehrenden spiegelt die damalige fachliche Diskussion zur Ausdifferenzierung der Behinderungsarten und der Sonderschultypen wider. Es gibt je eine Professur für Erziehungsschwierigenpädagogik (Karl-Heinz Benkmann), Allgemeine Heilpädagogik (Erich Beschel), Blinden- und Sehbehindertenpädagogik (Werner Boldt), Didaktik der Sonderschule für Lernbehinderte und geistige Behinderte (Hanno Langenohl), Pädagogik der Lernbehinderten und geistig Behinderten (Anton Reinartz) sowie für Heilpädagogische Psychologie (Walter Piel). Der Hinweis, dass keine Frau unter den hauptamtlichen oder nebenamtlichen Lehrenden ist, erübrigt sich.

Wie oben schon geschrieben, untergliedert sich die Abteilung in Seminare. Es gibt das Seminar für Allgemeine Heilpädagogik und Sozialpädagogik, das Seminar für Heilpädagogische Psychologie, das Seminar für Lernbehindertenpädagogik und Erziehungsschwierigenpädagogik (einschließlich Pädagogik der geistig Behinderten), das Seminar für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, das Seminar für Körperbehinderten- und Sprachheilpädagogik sowie das Seminar für Musische Erziehung.

Die Bedeutung des quantitativen und qualitativen Ausbaus der Abteilung für Heilpädagogik zeigt sich rückblickend mit der Betrachtung der personalen Ausstattung für den Heilpädagogischen Lehrgang. Für ihn stehen zu Beginn des Angebots zwei hauptamtliche Personen zur Verfügung, die von fünf weiteren Personen - überwiegend Lehrkräfte, die die schulpraktischen Studien begleiten - unterstützt werden. Es werden als Leiter Prof. Dr. H. Reirig und als Stellvertreter Hilfsschulrektor Dr. M. Wittmann namentlich im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1953/54 erwähnt.

Der Lehrkörper des Heilpädagogischen Instituts bleibt auch nach der fortschreitenden Akademisierung der Lehrer*innenausbildung personell gering. Erst im Vorlesungsverzeichnis vom Wintersemester 1963/64 der Pädagogischen Hochschule Ruhr werden zum ersten Mal neben hauptamtlich Lehrenden auch wissenschaftliche Assistenten und Mitarbeiter für besondere Lehrgebiete aufgeführt. Die Zahl der Lehrenden ist mit den Lehrbeauftragten auf elf Personen angewachsen (drei hauptamtlich Lehrende, drei wissenschaftliche Assistenten, zwei Mitarbeiter mit besonderen Lehraufgaben, drei Lehrbeauftragte). Unter ihnen befindet sich keine Frau.

Lehramt an Sonderschulen ab Wintersemester 1969/70 an der Pädagogischen Hochschule Ruhr

Zum Wintersemester 1969/70 wird an der Pädagogischen Hochschule Ruhr in der Abteilung für Heilpädagogik der Studiengang an Sonderschulen erstmalig angeboten. Das grundständige Studium ist auf acht Semester angelegt. Wenn bereits eine Erste Staatsprüfung für ein Lehramt abgelegt wurde, kann das Lehramt an Sonderschulen in vier Semestern erworben werden.

Es können die Fachrichtungen Blindenpädagogik, Erziehungsschwierigenpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik, Körperbehindertenpädagogik, Lernbehindertenpädagogik und Sehbehindertenpädagogik studiert werden. Zum Studium der Fachrichtungen gehören zum grundständigen Studium auch Erziehungswissenschaft, ein Wahlfach sowie die Wahl eines Stufenschwerpunkts innerhalb der Schulform. Voraussetzung zur Zulassung zum Studiums ist nach wie vor ein Vorpraktikum. Es soll je drei Wochen an jenen Sonderschulen absolviert werden, die den gewählten Sonderpädagogischen Fachrichtungen entsprechen. Vorgaben für die Wahl der Fachrichtungen existieren nicht.

Anzahl Studienplätze

Das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1969/70 der Pädagogischen Hochschule Ruhr enthält eine Studierendenstatistik. Aus ihr geht hervor, dass in der Abteilung für Heilpädagogik mit Stand November 1968 insgesamt 365 Personen (alle Studierende in den ersten vier Semestern) eingeschrieben sind. Es sind 202 Männer und 163 Frauen.

Drei Jahre später und mit der Einführung des grundständigen Studiengangs Lehramt an Sonderschulen wächst die Zahl der Studierenden in der Abteilung für Heilpädagogik im Wintersemester 1972/73 auf 797 rapide an, wobei die Statistik nun eingeschriebene Studierende in allen Semestern berücksichtigt. Im Wintersemester 1975/76 werden 1.767 eingeschriebene Studierende an der Abteilung für Heilpädagogik in der Statistik verzeichnet.

Zum Vergleich mit den Daten der Studierendenstatitik der 1970er Jahre, einige Angaben aus den Anfängen des Heilpädagogischen Lehrgangs: Die Aufnahmekapazität für den Heilpädagogischen Lehrgang an der Pädagogischen Akademie Dortmund ist auf ca. 80 Ausbildungsplätze begrenzt, so steht es im Vorlesungsverzeichnis vom Wintersemester 1953/54. Wie die tatsächliche Nachfrage oder Auslastung des Heilpädagogischen Lehrgangs ist, kann nicht geschlossen werden.  Hin und wieder lässt sich aus den Vorlesungsverzeichnissen der Folgejahre schlussfolgern, dass noch wenige freie Plätze für den jährlich im Sommer startenden Lehrgang zur Verfügung stehen.

Alle Informationen entstammen den Vorlesungsverzeichnissen der Pädagogischen Akademie Dortmund Wintersemester 1953/54 und der Pädagogischen Hochschule Ruhr Wintersemester 1963/64, Wintersemester 1966/67, Wintersemester 1969/70, Wintersemester 1972/73 und Wintersemester 1975/76. Quelle

1970er Jahre – Behinderung als sozialer Tatbestand

Behindertenwerkstatt in La Chaux-de-Fonds 1967

In der Folge der 1968er Bewegung halten immer stärker gesellschaftskritische Positionen in der Sonderpädagogik Einzug. Behinderung wird nicht mehr als individuelle und medizinische-organische Kategorie, sondern als sozialer Tatbestand begriffen. Wegweisende Schriften in diesem Zusammenhang sind „Die Erziehung der sozio-kulturell benachteiligten Schüler“ (1970) von Ernst Begemann sowie „Sozialisation und Behinderung“ (1974) von Wolfgang Jantzen. Sonderschulen werden nun nicht mehr als „Gewährleister“ der Bildung für Kinder mit Behinderung gesehen, sondern vor allem die Schule für Lernbehinderte wird als Institution der Segregation und der Benach­teiligung kritisiert.

Das Schwerbehindertengesetz (SchwbG) wird verabschiedet. Mit ihm werden die Grundsätze zur Konzeption der „Werkstatt für Behinderte (WfB)“ gesetzlich verankert. Die ebenfalls in dieser Zeit prominente Anti-Psychiatriebewegung ist eine Strömung, die sich gegen traditionelle psychiatrische Institutionen und deren Behandlungspraktiken richtet. Kritisiert werden vor allem die Entmündigung von Patient*innen, unmenschliche Behandlungen und institutionelle Gewalt.